Donnerstag, 28. März 2024

Verloren - Gefunden


Bestimmt kennt ihr diese Tage auch: Tage, an denen ihr euch verliert, euch abhanden kommt und irgendwie fremd neben euch steht. Ich nenne das meine Wackeltage. Wenn nichts mehr stabil ist, ich mich unsicher oder traurig oder rastlos oder halt eben "wacklig und zittrig" fühle. Meistens ist es gut, wenn man an diesen Tagen einfach funktionieren muss, weil man dann nicht wirklich die Zeit hat, darüber nachzudenken, warum man so weit weg von sich ist, und was mit einem nicht stimmt. Dieses Glück hatte ich gestern nicht. Ich hatte zwar Punkte auf meiner To-Do-Liste, aber ich konnte sie alle zuhause abarbeiten und mit Ausnahme eines fixen Zoom-Termins war nichts wirklich eilig. Ich hatte also alle Zeit der Erde, mich komplett zu verlieren.

Angefangen hat es mit einer kleinen Nebenbemerkung in der Morgenmail von Jutta. Eine, die sehr vieles wieder hochgespült hat, was ich in den letzten Wochen verarbeitet hatte. (Anmerkung in Klammer: Es hat nichts mit Jutta und meiner Beziehung zu ihr zu tun.) Die Bemerkung arbeitete in mir, ich schreib ein paar Mails und die Antworten haben nicht wirklich dazu beigetragen, mir wieder Boden unter den Füssen zu geben. 

Passend dazu hatte ich am Vortag eine Mail einer Frau erhalten, die mir anvertraut hat, wie verloren sie sich als neue Autorin in der Buchwelt fühlt - und die ein paar Fragen hatte. Ich habe ihr ehrlich geantwortet und während ich diese Antwort schrieb, bin ich meiner Wackligkeit Satz für Satz näher auf die Spur gekommen. Am Ende schrieb ich die Antworten genauso sehr für diese Frau wie für mich. Sie brachten mich zurück auf festen Boden. 

Als würde ich noch eine weitere Bestätigung brauchen für das, was ich geschrieben hatte, erreichte mich eine weitere Mail, die sich perfekt in meine Gedanken einreihte. Und zu guter Letzt kam Herr Ehemann nach Hause, dem ich eine Kurzfassung des Tages gab, und der mich mit einem einfachen Satz auffing. 

All das muss heftig in mir gearbeitet haben, denn nach dem Nachtessen hatte ich einen Kreativitätsschub wie selten. Ich setzte mich hin, kreierte einen Buchtrailer (ihr findet ihn am Ende des Posts) und füllte Seite um Seite eines Notizbuches zu einem meiner Schreibprojekte. Noch sehe ich längst nicht wirklich klar, wo meine Reise als Autorin als nächstes hingehen und sich gestalten wird, doch ich habe zwei Projekte, auf die ich mich wirklich freue. Und ich habe unzählige Fragen, denen ich nachhorchen will. Unter anderem: Wie bringe ich die Natur- und Bergfrau in mir mit dem Schreiben in Einklang, und wie bringe ich das Schreiben mit der Natur- und Bergfrau zum Klingen? 

Die Antworten suche ich in den nächsten Tagen und Wochen in den Bergen, auf Wanderungen, im Garten und im wilden Gelände im Haus in den Bergen. Um eine Stelle aus einem Song zu zitieren, die ich zu einer Schlüsselstelle im Mittelstreifenblues gemacht habe: Und plötzlich macht mir nichts mehr Angst. Das ist so was von befreiend und schön.


Mittwoch, 20. März 2024

Jonny und ich

Das sind Jonny und ich. Wir kennen uns ewig und zwei Tage, sind in derselben Gemeinde aufgewachsen. Jonny gehört das Lion-Cave in Trübbach, der Musikclub aus dem Mittelstreifenblues. Auf dem Foto sitzen wir im TwOnE, diesem einzigartigen Raum, der zum Cave gehört. Auch dieser Raum kommt im Mittelstreifenblues vor, genauso wie die legendären Rockkonzerte im Cave, die Erinnerungsalben, in denen sich Berühmtheiten der Musikszene verewigt haben und vieles mehr. 

Als ich die Geschichte von Jelscha und Elia aufschreiben wollte, brauchte ich ein Zuhause für Jelscha - und keines wäre passender gewesen als das Cave, das früher ein Löwen gewesen ist. Ich entschied mich, das Cave für die Geschichte in ein abgelegenes Dorf in den Bergen zu beamen. Aber nicht ohne Jonny. Denn Jelscha brauchte noch einen Onkel. Keiner hätte sich besser geeignet als Jonny. Natürlich habe ich ihn um Erlaubnis gebeten! Und zum Glück hat er JA gesagt.

Heute habe ich Jonny sein Exemplar vorbeigebracht. Wir sassen am Tisch, der an Konzertabenden beiseite geschoben wird, weil dort die Bühne ist. Redeten über früher und heute. Wechselten für ein Foto ins TwOne, fühlten uns alt, weil wir das mit den Selfies nicht wirklich im Griff hatten. Leise Wehmut lag im Raum. Es fehlte Jelscha, die sich eine Gitarre geschnappt und uns mit einem trockenen Spruch und einem Song aus dieser Wehmut gerissen hätte. 

Wenn ihr richtig gute Rockkonzerte sehen wollt, folgt dem Cave in den Social Media. Hier die Links:

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Mittwoch, 13. März 2024

Mittelstreifenblues

Manchmal werde ich gefragt, wie viel von mir in meinen Büchern steckt. "Ein wenig", habe ich früher geantwortet. "Ganz viel", sage ich heute. 

Als junge Frau habe ich in wahnsinnig glücklichen und furchtbar traurigen Nächten auf dem Mittelstreifen balanciert, getanzt, gelacht und geweint. Einmal, da habe ich mich bäuchlings draufgelegt und gedacht, ich sterbe vor Liebeskummer, jetzt, gleich. Nur um ein paar Tage später mit ausgebreiteten Armen auf demselben Mittelstreifen zu stehen und in den Himmel zu rufen: "Ich stehe, ich lebe, ich werde wieder fliegen können!" Dann habe ich aus meiner kleinen Blechdose eine geschnorrte Zigarette gezogen (eine Angewohnheit, die ich Nathan aus den Lost Souls geschenkt habe) und stundenlang in den Himmel geschaut, habe gelacht und geheult. Gefühlt und gelebt. Mit einer ungeheuren Intensität.

Nie ist mir etwas passiert auf diesen Mittelstufengängen. Immer bin ich gut nach Hause gekommen. Genau wie Jelscha in meinem neuen Buch Mittelstreifenblues. Ich weiss nicht, wer über mich gewacht hat in diesen irren Nächten. Im Mittelstreifenblues ist es Elia, Jelschas bester Freund, der über sie wacht. Natürlich denkt er, sie wisse es nicht. Und natürlich weiss sie es. Und natürlich wissen beide, dass es Dinge gibt, vor denen einen nichts und niemand schützen kann.

Die beiden wohnen in Ronda, einem kleinen Bergdorf am Ende der Schweiz. Jelscha will hier nie weg, denn nirgendwo leuchten die Sterne heller als hier; hier kann man nicht verloren gehen - ausser man ist Jelschas Mutter. Elia hingegen hält nichts in Ronda. Er will das Dorf hinter sich lassen, zusammen mit einem Leben, in dem er nicht sein kann, wer er ist, gleich nach dem letzten Schultag. Mit dem Motorrad. Auf dem Mittelstreifen. Hinaus in die Freiheit.

Ich werde euch in den nächsten Wochen mehr über Jelscha und Elia und all die wunderbaren (und weniger wunderbaren) Menschen aus Ronda erzählen. Vorerst zeige ich euch Buchtrailer Nummer 1. Und weil es Nummer 1 ist, ist auch klar, dass ihr nicht nur mehr Hintergrundinfos zur Geschichte bekommen werdet, sondern auch weitere Trailer angucken könnt. 

Hier schon mal die Edition 1:

Donnerstag, 29. Februar 2024

Ein neuer Trampelpfad

Heute ist ein guter Tag: Der Februar hat mir einen zusätzlichen Tag geschenkt, und am späten Vormittag ist auch die Sonne durch den Hochnechnebel gebrochen und hat ihn zurückgedrängt. Geschenke soll man annehmen, habe ich mir gesagt. Und so habe ich gleich nach dem Mittag die Strecke in den nächsten Ort unter die Füsse genommen. Samt Rucksack und eingepackter Einkaufstasche.

Ich spazierte nicht die gewohnten Wege, sondern ging zum Binnenkanal raus, der vor ein paar Jahren renaturiert worden ist. Ein wunderschöner Trampelpfad führt an ihm entlang, und wenn man die Geräusche von der Autobahn ausblendet, kommt man sich ein wenig vor wie in der Wildnis. Zwischen dem gelben Gras von letztem Jahr spriesst das hellgründe von diesem Jahr. Das Wasser ist glasklar, fliesst einmal langsam und bedächtig, dann wieder schnell und fröhlich, manchmal breiter, manchmal teilt es sich und  nimmt eine der vielen kleinen Inseln in die Mitte. Steine, umgefallene Bäume und gelegentlich eine Holzbank säumen das Ufer; die ersten knallgelben Blümchen recken sich stolz der Sonne entgegen.

Kein Mensch störte die Idylle; ich war allein unterwegs. Liess mir Zeit. Fotografierte und filmte (das Resultat zeige ich am Ende des Posts). Nach der Renaturierung hatte ich die Wahl: Bekannte Wege oder Neuland betreten. Ich entschied mich für das Neuland, einen Waldweg durch fast unberührtes Gelände, wo man die Natur mehr oder weniger sich selbst überlässt. Gemäss Handyapp würde der Waldweg irgendwann aufhören; eingezeichnet waren nur noch zwei oder drei dünne, rote gestrichelte Linien. Es konnte also gut sein, dass ich ins Nirvana hinaussteuerte, aber hey, ich hatte einen geschenkten Tag und schönes Wetter. Im Notfall würde ich umkehren und die Einkäufe halt anderswo machen.

Irgendwann wurde der Waldweg zum verblassenden Feldweg und ich kam an eine winzige Abzweigung, von der ein schmaler Trampelpfad wegführte. Das war dann wohl meine dünne rote Linie. Ich folgte ihr. Musste alle paar Meter über umgekippte Bäume klettern und fand mich bald in einer atemberaubend schönen Wildnis. Wald, Sumpfgebiet, kleine Tümpel, Fischreiher. Natur pur. Mitten zwischen Autobahn und Hauptstrasse. 

Trampelpfadgängerin. Das bin ich nun seit fast drei Jahren. Heute habe ich das Wort gelebt und erwandert. 

Irgendwann traf ich dann wieder auf die Zivilisation. Ein wenig wehmütig. Aber auch sehr glücklich, weil ich mir gerade eine neue Strecke aufgetan hatte, die ich unbedingt wieder gehen will. Eingekauft habe ich auch :-) Und bin dann mit dem Bus nach Hause gefahren. Schön war's. Total schön. 

Freitag, 23. Februar 2024

Auf Mission

Kürzlich war ich zu Fuss unterwegs, fand die Landschaft und das Leben schön und war mit einer tiefen Gelassenheit unterwegs. Der Rhein zeigte sich von seiner besten Seite; jemand hatte mit Steinen einen Smiley auf eine Sandbank gezaubert. Ich fotografierte, sang und hüpfte vor mich hin. Auf der Höhe der Raststätte Werdenberg verliess ich den Damm, lief über die Autobahnbrücke, blieb stehen und schaute den Autos zu, wie sie in Richtung Berge fuhren. Nach einer Weile wandte ich mich ab, liess das Treiben hinter mir und tauchte in den kleinen Wald ein, der zwischen Autobahn und Auen liegt.

Auf halber Höhe kam mir ein älterer Mann entgegen. Als er mich sah, steuerte er auf mich zu. Noch während ich überlegte, ob ich ihn kennen sollte, zog er etwas aus der Hosentasche, hielt es in die Höhe und stellte sich vor mich hin. Ich guckte genauer. Da stand etwas von Jesus und ich dachte na bravo. Freundlich sagte ich: "Der liebe Gott und ich haben's nicht so miteinander. Danke, aber kein Interesse."

Sag so was mal jemandem mit einer Mission! Weil ich mir aber für dieses Jahr vorgenommen habe, meine Bubble zu verlassen, mir andere Meinungen anzuhören, mich auf Argumente einzulassen, ging ich nicht einfach weiter, sondern hörte dem Mann zu.

Er: "Sie haben bestimmt schon gesündigt."
Ich: "Nein."
Er: "Sie lügen."
Ich: "Nein, ich lüge nicht."
Er: "Alle lügen."
Ich: "Richtig. Ich auch."
Er: "Dann sündigen Sie also doch."
Ich: "Nein. Ich bin menschlich. Ich esse manchmal zu viel, ich nutze Notlügen, wenn ich andere nicht verletzen will. Wahrscheinlich habe ich sogar gegen ganz viele Gebote verstossen, aber ich nenne das nicht sündigen, sondern das ist zutiefst menschlich."
Er: "Und wenn Sie mal sterben?"
Ich: "Bin ich tot."
Er: "Und dann?"
Ich: "Dann ist fertig."
Er: "Wollen Sie denn nicht in den Himmel?"
Ich: "Nein."

(Ich erwähnte nicht, dass im Himmel oben wohl lauter solche selbstgerechten Typen wie er hocken und ich nur schon deshalb da nicht hin will, auf keinen Fall.)

Er: "Aber Sie werden begraben."
Ich: "Nein, ich möchte, dass meine Asche verstreut wird."
Er: "Sie werden begraben wie eine Kartoffel."

(An dieser Stelle verzichtete ich darauf, ihn noch einmal darauf hinzuweisen, dass ich nicht begraben werde; ich hatte so eine Idee, dass meine Worte auf keinen fruchtbaren Boden fallen würden.)

Er: "Und dann spriessen Sie aus."

(Von wegen fruchtbarer Boden ... haha. Nun ja, er meinte die Kartoffel. Danach ging es dann irgendwie eine Weile lang um das jüngste Gericht und die Auferstehung)

Er: "Wer seine Sünden gegenüber Gott eingesteht, dem wird vergeben."
Ich: "Aha. Also kann ich als Priester, der Jugendliche sexuell missbraucht, einfach mal schnell um Vergebung bitten?"
Er: "Sünde ist Sünde. Der Herr kann vergeben."
Ich: "Lügen und einen Jugendlichen vergewaltigen ist also dasselbe?"
Er: "Es sind beides Sünden."
Ich: "Gleichwertig?"
Er: "Es sind beides Sünden."

An dieser Stelle hatte ich dann genug. Ich sagte ihm, dass er seinen Gott behalten könne. 

Okay, ich sagte es nicht ganz so diplomatisch ... Auf jeden Fall liess er mich stehen und verzog sich. Ich hatte kein Mitleid, denn er hätte es nach meinem freundlichen Danke, kein Interesse ja bleiben lassen und mit mir übers Wetter oder den Frühling reden können.

Ich brauchte die ganze Strecke durch die Auen, bis ich mich gefangen hatte. Aus meiner Bubble raus will ich immer noch, war ich auch mehrere Male und es war total spannend. Aber es gibt Grenzen.

Mehr von meinen Ausflügen aus meiner Bubble raus dann - vielleicht - nächste Woche. Hätte schon diese Woche mein Thema sein sollen. Aber nach verschiedenen Anläufen merkte ich, dass ich noch nicht bereit für diesen Post bin.